Johannes Becher, stellvertretender Vorsitzender der Kinderkommission des Bayerischen Landtags
Eine Anekdote aus dem Bayerischen Landtag zum Stellenwert der frühkindlichen Bildung in der Politik: Die Landtagsverwaltung fragte nochmal zurück, als der Landtagsabgeordnete Johannes Becher sich 2018 in die Kinderkommission eintragen ließ. Da sei ein Mann auf der Liste. Ob das ein Versehen sei?
Wie Becher in seinem Vortrag „Perspektiven für eine gute Kita“ am 17. Juli in Kranzberg betonte, ist ihm die qualitätsvolle Bildung und Betreuung der Kleinsten seit Langem eine Herzensangelegenheit. Regelmäßig hospitiert er in Kindertagesstätten, um sich ein Bild vom Arbeitsalltag der Erzieherinnen und der Betreuungsqualität zu machen. Denn: Zwei Jahre gute Bildung und Förderung im Kindergarten sind ein wesentlicher Beitrag zur Chancengleichheit. Frühkindliche Bildung ist auch ein Schlüssel für gut ausgebildete Arbeitskräfte, die die Wirtschaft aktuell so dringend sucht.
Arbeiten am Anschlag, Entlastung nicht in Sicht
Mit seinem Vortrag traf Johannes Becher den Nerv insbesondere bei den Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen unter den rund 20 Zuhörern. Diese berichteten in der anschließenden rund zweistündigen Diskussion von ihren konkreten Erfahrungen und Problemen. Und die klangen beängstigend: Man arbeite am Anschlag, weil keine Erzieherinnen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar seien. Entlastung nicht in Sicht. Die Anerkennung der Qualifikationen von Quereinsteigerinnen sei außerordentlich mühsam und häufig nicht nachvollziehbar restriktiv.
Die Folge: Immer mehr Gruppen müssten schließen, weil der gesetzlich geforderte Betreuungsschlüssel von 1:9 nicht mehr aufrecht zu halten sei. Und zusätzlich wachse der Betreuungsbedarf. Was läuft da falsch?
Becher hat die Hintergründe recherchiert. Die Kommunen tragen die Hauptlast der Kosten für die Kinderbetreuung. Zuschüsse gibt es vom Staat und vom Bund. Geld sei – im Übrigen auch vom Bund im Rahmen des Gute Kita Gesetzes – reichlich nach Bayern geflossen. Aber dann mit falschen Prioritäten verteilt im System. Ein Beispiel: So profitierten vom einkommensunabhängigen Zuschuss des Freistaats für die Kita-Gebühren im Grunde die wohlhabenderen Familien mit einer Entlastung von 1200 € p.a. Einkommensschwächere Haushalte werden über die Jugendhilfe entlastet. Diese rund halbe Milliarde Euro pro Jahr trage damit nichts zur qualitativen Verbesserung in den Kitas bei. Die sei aber Voraussetzung dafür, dass Erzieherinnen nicht, wie aktuell häufig, vorzeitig aus dem Job ausstiegen.
Viel Geld mit falschen Prioritäten im System: Fachkräfte wandern ab
Ein Blick nach Schleswig-Holstein zeige: Dort fließen die Zuschüsse vom Bund zu 100 Prozent in die Kitas. Das neue Kita-Qualitätsgesetz der Ampel stellt bei Zuschüssen zukünftig die Bedingung, dass mindestens 50 Prozent den Einrichtungen direkt zugutekommen sollen.
Der eklatante Mangel an Erzieherinnen und Erziehern habe sich schon seit Jahren abgezeichnet. Eine fünfjährige Ausbildung auf Meisterniveau führe aktuell in einen Job mit sehr hoher Arbeitsbelastung, weil Personal an allen Ecken und Enden fehlt, bei relativ wenig Verdienst. Tricks zum Schönrechnen des Personalschlüssels von 1:9 gehen auf die Knochen derer, die jeden Morgen zum Dienst erscheinen. Ein Beispiel: Erkrankte Mitarbeiterinnen werden nicht aus dem Schlüssel herausgenommen, sondern bleiben zum Monatsende noch 42 Tage drin.
Die Kommunen könnten nichts für den Fachkräftemangel, betont Becher. Doch allein lösen können sie das Problem auch nicht. Der Freistaat aber hebe bedauernd die Hände: Das sei Sache der Kommunen. Und die sind bekanntermaßen nicht alle finanzstark. Oft helfen Eltern mit großem Engagement aus, bis hin zu Renovierungen. Aber ist das der richtige Weg?
Sie sei es leid, fasste eine Kindertagesstätten-Leiterin aus München die Probleme zusammen, dass man um selbstverständliche Dinge wie ein Sonnensegel über einem Sandkasten betteln müsse. Dass die wichtige Arbeit der Erzieherinnen in der Gesellschaft immer noch nicht als das angesehen werde, was sie ist: Wesentlich. Das liege auch daran, so pflichtete Becher bei, dass Erzieherinnen im Gegensatz zu Lokführern nicht einfach das ganze Land lahmlegten. Unter anderem weil die zahlreichen kirchliche Träger Streiks nicht dulden.
Letztendlich zeige sich, dass Frauen immer noch viel für echte Gleichberechtigung tun müssen. Zwar gelingen Berufseinstieg und erste Karriereschritte noch, aber mit Mitte Dreißig finden sich viele hochqualifizierte Frauen erstaunt auf dem Karriere-Abstellgleis wieder, spätestens, wenn der Wiedereinstieg mangels qualitativer Kinderbetreuung erschwert werde.
Er wolle eigentlich nicht so argumentieren, wenn es um unsere Kinder geht, aber letztendlich müsse man immer die finanziellen, die volkswirtschaftlichen Aspekte in den Vordergrund rücken, damit sich beim Thema frühkindliche Bildung in der Politik was bewege, so Becher. Fast immer sei das Plenum leer, wenn das Thema auf der Tagesordnung stehe.
Wie man den Gesetzgeber denn motivieren könne bessere Rahmenbedingungen zu schaffen? Er arbeite im Team von Fachleuten aktuell an einem Gesetzesentwurf, um die Mittel effektiver einzusetzen. Ziel ist, mehr Geld in die direkte Verfügung der Einrichtungen zu bringen. In der nächsten Legislaturperiode dann soll der Entwurf in einer Fachkommission auf Praktikabilität und Finanzierbarkeit geprüft werden, bevor er eingereicht wird. Sollte sein Entwurf nicht zur Umsetzung kommen – vielleicht fallen die neuen Ideen ja auf fruchtbaren Boden und werden, wie schon ab und an geschehen, von einer anderen Fraktion aufgegriffen.