Unsere Amper: Die unerkannte Schöne

„Nur was man versteht, kann man schützen“ war der Gedanke hinter der Idee zur Amper-Wanderung unter fachkundiger Führung des Biologen Manfred Drobny vom Freisinger BUND Naturschutz in Bayern e.V. So erkundeten 22 Interessierte am windig-regnerischen 1. April die Amper auf dem kurzen Weg vom Sportheim zum Kranzberger See. Bericht von Jenny Radeck, Fotos: Michael Radeck

Dass wir derart wenig über den Fluss wussten, an dem viele von uns häufig spazieren gehen und den wir tagtäglich überqueren, hat dann doch überrascht. Um es vorweg zu nehmen: Die Amper hat Persönlichkeit und Potential und ist eine Landschaftsgestalterin. Und wenn wir ihr etwas mehr Raum ließen, beschenkte sie uns mit Artenreichtum und Schönheit.

Wie geht es der Amper?

Wir reisen im Urlaub gern in Regionen, wo man sich an sauberen Gewässern erfreuen kann, aber wie steht es um den Fluss im eigenen Dorf? Zum Schutz der Gewässer in Europa wurde 2000 die Europäische Wasserrahmenrichtlinie erlassen. Sie verpflichtet die Staaten der EU, ihre Gewässer bis 2015, spätestens bis 2027 in einen „guten ökologischen“ und „guten chemischen Zustand“ zu bringen. Guter ökologischer Zustand bezieht die Lebensgemeinschaften im und am Gewässer mit ein.

Das Wasserwirtschaftsamt München konnte der Amper 2018 den geforderten guten ökologischen Zustand „noch nicht“ bescheinigen. Das bestätigt auch Manfred Drobny. Zahlreiche Fischarten und auch die Flussmuschel seien rar geworden, manche „Ureinwohner“ wie der Huchen gar verschollen. Aber die Amper verfüge in Teilbereichen noch über „Strukturreichtum“, von denen aus sich Vielfalt und Artenreichtum, kurz: Wildnis, wieder ausbreiten könne.

Anfang des 20. Jh. wurde der Kanal für das Wasserkraftwerk abgezweigt. Aus Sicht des Klimaschutzes gilt Wasserkraft als grüne Energie. Vor dem Hintergrund des Artensterbens sind intakte, für Amphibien und Fische durchgängige Gewässer von höherem Wert, als die mögliche CO2-Vermeidung durch neue Wasserkraftwerke, weswegen man aus Sicht des Naturschutz vom weiteren Ausbau der Wasserkraft absieht.

Woran krankt die Amper?

Da ist zum einen das Korsett, in welches man den Fluss gezwängt hat. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Amper begradigt. Es wurden die zahlreichen Mäander und Schleifen abgetrennt und somit die umliegenden Flächen, vor allem die Niedermoorböden, entwässert, wie bei uns das Aster und Giesenbacher Moos. Eine Folge der Flussbegradigung: Die Amper fließt schneller und gräbt sich streckenweise immer tiefer ein, mit Folgen für das Grundwasser und auch für unseren Kranzberger See. Wie Bürgermeister Hammerl im Grußwort der Aprilausgabe des Gemeindeblatts schrieb, ist der Grundwasserspiegel und auch der Pegel des Sees so niedrig, dass man überlege, eine Solschwelle in der Amper zu errichten, um das tiefere Eingraben zu verhindern.

Fluss und Auwald

Ein Fluss ist also keine isolierte Wasserrinne. Er steht mit den umliegenden Grundwasser führenden Schichten in Verbindung und wirkt damit weit in die umgebende Landschaft hinein. Auch die Hochwasser sind Motoren des Artenreichtums und die Voraussetzung für den Lebensraum Auwald.

Fluss und Auwald sind ein dynamisches System. Sandbänke bieten Raum für Fischkinderstuben.

Die Flussaue der Amper ist eine sogenannte Weichholzaue. Deren typische Vertreter, die Grauerle oder die Silberweide, finden sich bei unserem Spaziergang zuhauf, letztere als majestätische, mit mehrfachen Stämmen ausladende imposante Baumriesen. Auch die Traubenkirsche mit ihren weißen duftenden Blütentrauben entstammt dem Auwald. Viele unserer Obstbäume, so Drobny, waren ursprünglich Auwald-Bewohner.

Entlang des Wegs am Boden wachsen, wie es sich für eine Weichholzaue mit eher lichten, nährstoffreichen und feuchten Böden gehört, das farbwechselnde Lungenkraut, Buschwindröschen, Scharbockskraut und Brennnesseln. Hebt man den Blick vom blühenden Durcheinander am Boden auf das gegenüberliegende Ufer, erblickt man zweierlei: Uferbefestigungen und einen Verstoß gegen Art. 21 Abs. 1 Bayerisches Wassergesetz (BayWG).

Uferbefestigungen

Zunächst zur Uferbefestigung in Form von großen Steinen an der äußeren Flusskehren. Wie Manfred Drobny ausführt, beförderten derartige Uferbefestigungen ebenso wie eine Flussbegradigung das Eingraben des Flusses. Entfernte man die Steine am Ufer, würde die Amper Uferbereiche abschwemmen und neue Kies- und Sandbänke anlegen. Sie würde in die Breite gehen und wieder langsamer fließen und sich nicht mehr eintiefen. Sie schaffte vielfältige neue Lebensräume für Fauna und Flora in den Zonen mit unterschiedlicher Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit und würde den Grundwasserspiegel auf natürliche Weise wieder ansteigen lassen. Dem Fluss wieder mehr Raum zu lassen, sei zudem im Sinne des Hochwasserschutzes zielführend.

Die Amper schwemmt Teile des Ufers ab und gestaltet ihr Bett immer neu. An den Abbruchkanten, die wie hier an dieser Stelle etwas steiler sind, entstehen neue Lebensräume. Der aus der Bierwerbung bekannten Eisvogel braucht genau solche, leider rar gewordenen Steilufer als Brutstätte.

Das Entfernen der Uferbefestigung wäre, so Drobny, kein großer Aufwand. Die Zustimmung der Landwirte zu gewinnen, welche die Felder am Amper-Ufer bewirtschaften, wäre vermutlich schon aufwändiger. Ohne Kompensation werde dies wohl nicht gelingen. Aber: Geben wir der Amper da, wo links und rechts des Flusslaufs Platz ist, etwas mehr Freiheit zurück, erhalten wir von ihr wertvolle Gegenleistungen beim Grundwasserschutz, beim Artenschutz, beim Hochwasserschutz und beim Klimaschutz. Für umsonst.

Gewässerrandstreifen

Zum Verstoß gegen Art. 21 Abs. 1 Bayerisches Wassergesetz (BayWG): Wie auf dem Foto sichtbar, wurde der vorgeschriebene Abstand von mindestens 5 Metern (privater Grund) bzw. 10 m (staatlicher Grund) zur mittleren Gewässerkante (empfohlen wird zur Böschungskante) soweit erkennbar nicht eingehalten.

Im Gesetz heißt es: „Gewässerrandstreifen dienen der Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, der Wasserspeicherung, der Sicherung des Wasserabflusses sowie der Verminderung von Stoffeinträgen aus diffusen Quellen.“ Diese Regelung ist ein Ergebnis des Volksbegehens „Rettet die Bienen“ aus dem Jahr 2019, wird aber in der Praxis häufig ignoriert, weil zu wenig kontrolliert.

Landwirte dürfen Gewässerrandstreifen zwar nicht ackerbaulich oder gartenbaulich, aber als Grünland nutzen, also mähen. Dem Einwurf, manche Landwirte sähen in dieser Vorschrift eine „Enteignung“, hält Drobny entgegen, dass seiner Erfahrung nach viele Landwirte für Belange des Naturschutzes durchaus offen seien. Zudem werde eine finanzielle Kompensation für die Gewässerrandstreifen gezahlt. In anderen Bundeländern seien Gewässerrandstreifen zudem schon lange vorgeschrieben, teilweise ganz ohne Kompensation. Und: Eigentum verpflichte. Leider ticken auch beim praktischen Naturschutz in Bayern die Uhren anders: Man liege im Vergleich der Bundesländer leider nicht bei den oberen 75 Prozent.

Saumbiotope

Wie wichtig Gewässerrandsteifen sind, zeigt ihre Rolle als sogenanntes Saumbiotop. Ebenso wie die Feld- und Wegraine verbinden sie entlang der Gewässerläufe Habitate und ermöglichen die für das Überleben von Arten unabdingbaren Wanderungsbewegungen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz hat ausgerechnet, dass alle Saumbiotope entlang unserer Feldwege (je 2 m) und Gewässer (je 5 m) zusammen etwa 1,6 Prozent der Landesfläche Deutschlands ausmachten. Viel Platz für Kräuter, Blumen, Insekten und Kleintiere. Wenn man die Raine denn nicht immer wieder wegackern, mulchen, spritzen und überdüngen würde.

Nährstoffeintrag

Apropos Düngen und Spritzen. Die Gewässerrandstreifen sollen den Eintrag von Dünger und Pestiziden in die Gewässer mindern. Der verräterische Schaum auf dem Wasser, der sich gut sichtbar in den äußeren Kehren an Hindernissen im Wasser aufstaut, weist darauf hin, dass vermutlich zu viele Nährstoffe im Wasser sind. Schaum auf der Wasseroberfläche kann auch natürlichen Ursprungs sein, überwiegend jedoch ist er der sichtbare Beweis für zu viele Nährstoffeintrag. Im Fall der Amper wird dieses Problem dadurch verstärkt, dass aufgrund des Kanals nur wenig Wasser im natürlichen Wasserlauf fließt und Einträge dadurch weniger verdünnt werden.

Der Eintrag von überschüssigem Stickstoff durch Landwirtschaft, Industrie, Verkehr und Privathaushalte in die Umwelt, die sog. Luftdüngung, ist inzwischen so hoch, wie der Eintrag in vorindustrieller Zeit durch Stallmist und Gründüngung insgesamt. Damals war Dünger kostbar, heute haben wir zu viel davon. Dieser Stickstoffüberschuss gefährdet als Nitrat das Grundwasser und durch Überdüngung ganze Ökosysteme und damit die Artenvielfalt.

Kreislauf des Lebens

Der mächtiger Silberweidenstumpf bietet wertvollen Lebensraum: „Totes Holz beinhaltet über den Verlauf der Zersetzung mehr lebende Zellen als der einst lebende Baum.

Ein anschauliches Beispiel, dass man in der Landschaftspflege und Forstwirtschaft inzwischen mehr „Strukturreichtum“, vulgo Unordnung, zulässt, ist das Totholz. Ein Charakteristikum für Auwälder ist ein hoher Anteil absterbender Bäume. Denn nicht jeder Baum, der sich im Auwald ansiedelt, verträgt die Fluten. Ein Beispiel dafür ist der Ahorn. Absterbende Bäume bieten zusammen mit am Boden liegendem Totholz einen sehr artenreichen Lebensraum. Am Ufer der Amper lässt man inzwischen bewusst Holzreste liegen und Stümpfe abgebrochener Bäume stehen. Wer sich bei diesem Anblick über „Unordnung“ mokiert, sollten bedenken: Liegt der Anteil von Totholz in einem Wald unter etwa 10 Prozent, führt dies zu einem kritischen Rückgang der Biodiversität.

Der Kranzberger See

Am Kranzberger See angekommen, würdigt der Biologe die vielfältigen Zonen am Seeufer. Mit den im Schilf geschützten Lebensräumen für Amphibien und Fische, Insekten und Wasservögel lassen sich Naturschutz und Erholung ganz gut vereinen. Rein optisch sei die Wasserqualität gut. Die Kranzberger wissen allerdings, dass in heißen Sommern die Wasserqualität etwas nachlasse. Ob es Sinn mache, den See einmal auszubaggern? Das sei, so schätzt er, kostenaufwändig und von eher fraglichem Nutzen. Der Schlamm am Grund sei ein Produkt der eingetragenen Nährstoffe. Solange der See nährstoffreich bleibe, werde sich das Problem durch das Entfernen von etwa 20 – 30 cm Schlamm am Grund nicht nachhaltig lösen lassen.

Wasser sieht okay aus. Schaum weist auf hohen Nährstoffgehalt hin.

Biber der Baumeister

Zurück am Ufer der Amper zeigt uns Manfred Drobny Spuren eines eher verborgen lebenden Flussbewohners: Ein Biber hat sauber abgenagte Äste hinterlassen. Biber sind sehr revierbezogen. Natürliche Feinde außer dem Menschen haben sie nicht mehr. Früher konnte der Nerz, auch Fischotter genannt, gefährlich werden. Die marderähnlichen Tiere drangen in die Biberhöhle ein und töteten die Jungbiber. Aber dem Europäischen Nerz, einst in Flussauen weit verbreitet, wurde sein schönes, wasserabweisendes Fell zum Verhängnis.

Saubere Arbeit. Überreste eines winterlichen Bibermahls. Im Frühjahr und Sommer dürfen es auch Knospen und sogar Feldfrüchte sein. In Bayern helfen 200 Biber-Berater mit, dass die Konflikte zwischen Mensch und Biber beigelegt werden können, durch finanzielle Entschädigung von Biberschäden bspw. Unterm Strich überwiegen die Vorteile des Bibers für Mensch und Gewässer.

So ist der zweitgefährlichste Gegner des Bibers heute der Biber selbst. Der Nachwuchs kämpft erbittert um die knappen Reviere, durchaus mit tödlichem Ausgang. Biber haben durch ihren Drang, die Pegelstände in ihrem Revier durch Dämme so zu regulieren, dass der Eingang zu Biberhöhle stets unter Wasser liegt, im Freisinger und Erdinger Moos in den vergangenen Hitzesommern Bäche vor dem Austrocknen gerettet. Biber sind also natürliche Verbündete des Menschen im Gewässerschutz. Lässt man ihnen im Uferbereich Platz – auch aus diesem Grund sind Gewässerrandstreifen sinnvoll – halten sich Schäden durch die Grabungstätigkeit der Biber in der Flussböschung in Grenzen.

Fazit

Nicht nur der Biber ist ein Wasserbauer, auch die Amper selbst schafft mit ihrer natürlichen Dynamik Lebensräume und gestaltet Landschaft selbst. Im Verlauf des Spaziergangs wird unsere Amper, so scheint es nicht nur mir, immer mehr zur Persönlichkeit. Je mehr wir über sie erfahren, desto eher scheint verständlich, warum Menschen früherer Zeiten Flüsse als Gottheiten verehrten. Vielleicht geschah dies aufgrund des Respekts vor ihrer Wildheit und zerstörerischen Kraft, aber mir scheint, es lag eher an der lebensspenden Kraft, die Manfred Drobny an vielen Beispielen während der kurzen Wanderung aufzeigen konnte. Er hatte eingangs versprochen, uns das verborgene Potential der Amper zu zeigen. Ich denke, keiner aus der Gruppe wird widersprechen: Das ist gelungen!