Der wunderschöne Weg bei Thurnsberg entlang des Amper-Kanals ist den meisten Kranzbergerinnen und Kranzbergern gut bekannt. Zum Spazierengehen, Radfahren, Entspannen in der Natur ist dieser kleine Teil des Amper-Auwalds sehr geschätzt. Deshalb dürfte kaum jemandem entgangen sein, was die beiden heftigen Gewitterstürme im August 23 und der Schneebruch im letzten Winter dort angerichtet haben.
Im Rahmen eines naturkundlichen Spaziergangs am 20. April ließen sich etwa 20 Interessierte die Folgen von Sturm und Schneebruch für den Auwald aus Sicht des Biologen Manfred Drobny vom Bund für Umwelt und Naturschutz Bayern e.V. erläutern.
Bericht von Jenny Radeck.
„Ein Sturm oder auch Schneebruch ist ein normales Ereignis und schadet dem Auwald eigentlich nicht“, so Manfred Drobny. Die Bruchweide, die wie die Silberweide ein typischer Auwald-Bewohner ist, legt es sogar darauf an, vom Sturm gebrochen zu werden. Sie opfert ganze Äste, die vom Flusswasser fortgetragen und auf neu angeschwemmter Erde angelagert werden, um dort neu auszutreiben und Wurzeln zu schlagen. Selbst an den von schwerem Gerät aus dem Wald geborgenen und aufgeschichteten Bruchweidenstämmen treiben neue Triebe unverdrossen aus. Nur werden diese vermutlich als Hackschnitzel enden.
Am Wegrand aufgerichtet lagern zwischen den Bruchweidenstämmen auch umgeworfene Silberweiden, Eschen und Eichen. Insbesondere Weiden und Eichen bieten ungeheuer artenreiche Lebensräume. Auf und in und um sie herum lebt eine Vielzahl von Insekten, Pilzen, Vögeln und Kleinsäugern. „Eigentlich“, so Drobny, „sollte man die umgeworfenen und niedergebeugten Bäume nur dort entfernen, wo sie Fußgänger oder Fahrzeuge gefährden könnten. Alle übrigen Bäume verbleiben idealerweise dort, wo sie hinfielen.“ Für die seit Millionen von Jahren bewährte natürliche Verjüngung des Auwalds.
Die Möglichkeit einer natürlichen Verjüngung wurde am Waldabschnitt an der Amper ganz offensichtlich nicht in Betracht gezogen. Breite Fahrspuren und abgesägte Baumstümpfe zeugen vom Einsatz schweren Geräts zur Entfernung des Windbruchs. Offen ist die Frage, ob neu aufgeforstet wird und wenn ja, womit. Wäre vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung die Anpflanzung wärmeliebender Bäume empfehlenswert? „Das wäre in Hinblick auf die Artenvielfalt keine so gute Idee“, so Drobny.
Die fehlende Anpassung heimischer Insekten an nicht heimische Baumarten führt zum Verlust an Artenvielfalt bei Insekten und damit zu einer Nahrungsverknappung für insektenfressende Vogelarten, Amphibien und Reptilien.
„Der Auwald ist“, so Manfred Drobny, „eines der artenreichsten Ökosysteme. Auch weil er eine ausgeprägte Kraut- und Buschschicht aufweist.“ Aus diesem Grund steht der Auwald im Ampertal als Flora-Fauna-Habitat bereits seit 2001 unter dem Schutz der Natura 2000 EU-Verordnung. Wie die entsprechende Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „Ampertal im Landkreis Freising“ ausführt, bestehe der Schutzzweck darin, „wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere, wie z. B. flußbegleitende Auwaldbestände (…) funktionsfähig zu erhalten bzw. wieder herzustellen.“
Natura 2000: „Auwaldbestände funktionsfähig erhalten bzw. wieder herzustellen.“
„Ampertal im Landkreis Freising“, Verordnung von 2001
Vertreter der vom Sturm verschonten Buschschicht, weißblühende Traubenkirschen und gelbblühende Berberitzen, ragen etwas verloren zwischen vielen mächtigen Baumstümpfen in den regenschwangeren April-Himmel. Dahinter räkelt sich nun gut sichtbar die Amper, die vor dem Sturm vom Wald verborgen fast unbemerkt dicht neben dem Weg floss. Wenn der Auwald unter Schutz steht, warum räumt man Bäume mit schwerem Gerät weg, anstatt die natürliche Regeneration zuzulassen? Kontrolliert denn niemand, ob der Schutzzwecke „funktionsfähig erhalten“ und „wieder herstellen“ eingehalten werden? Im konkreten Fall, so Drobny, wurde offenbar keine fachliche Expertise eingeholt. Letztendlich zeige sich hier, was der Bund Naturschutz in Bayern e.V. auch auf seiner Webseite konstatiert: „Die Entwicklung und der Schutz von Natura 2000 ist noch unzureichend. Es mangelt an der Umsetzung der nötigen Maßnahmen, an der Verbindlichkeit des Schutzes, an der Einhaltung des Verschlechterungsverbotes und einem umfassend wirksamen Schutz vor Eingriffen.“
Der Naturschutz ist aktuell ernsthaft in Gefahr!
In Bayern tue man sich mit der Durchsetzung des Naturschutzes generell schwer. Besserung scheint auch nicht in Sicht. Und: „Ohne Europa gäbe es überhaupt keinen Naturschutz“, so Drobny. Was bedeutet das im Europa-Wahljahr? „Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Womit soll ich anfangen?“ Die schlechte zuerst. „Der Naturschutz ist aktuell ernsthaft in Gefahr.“
Das mühsam im Europäischen Parlament ausgehandelte und im Februar 2024 beschlossene Gesetz zur Rettung der Natur droht zu scheitern. Obwohl über 80 Prozent der geschützten Ökosysteme in Europa in einem schlechten Zustand und ein Fünftel der europäischen Arten vom Aussterben bedroht sind, gelang es den Gegnern des Gesetzes, vertreten durch die EVP mit ihrem Vorsitzenden Manfred Weber (CSU), dem zuständigen Umweltrat im Europaparlament die qualifizierte Mehrheit zu versagen – auch weil der Präsident der belgischen Ratspräsidentschaft, Alexander de Croo, gegen die ausgehandelte Einigung lobbyiert hat. Damit wird ein Gesetz im schlimmsten Fall zum Scheitern gebracht, welches das Ziel verfolgt, 20 % der Flächen in der EU (terrestrisch und aquatisch) so zu renaturieren, dass sie ihre natürlichen ökologischen Funktionen wieder erfüllen können, statt rein auf Bewirtschaftung ausgerichtet zu sein.
Wählen gehen und bei der Europawahl ein Votum für den Naturschutz geben!
„Das,“ so Drobny, „bereitet den Umweltverbänden erhebliche Sorgen.“ Mit anderen Worten: Die schon arg geschädigte Natur droht endgültig zum Freiwild wirtschaftlicher Interessen zu werden. „Bitte überzeugt eure Freunde und Bekannten, dass sie zur Europawahl gehen und dass sie mit ihrer Wahl ein Zeichen für den Naturschutz setzen.“ Dicke Wolken schieben sich vor die eben noch wärmende Sonne und es wird allen bitterkalt.
„Jetzt bitte ganz schnell die gute Nachricht!“ Drobny zeigt auf die Amper, die hinter ihm in einer schwungvollen Kurve den Anschein freien „Mäanderns“ erweckt – auch wenn sie schon wenige Meter weiter durch Uferbefestigungen wieder „eingefangen“ wird. Sein Gesicht hellt sich sichtlich auf: „So sieht ein natürlicher Flusslauf aus! Idealerweise nimmt man die Uferbefestigungen an den Außenkehren weg, damit der Fluss sich ausbreiten und durch Uferabbruch neue Lebensräume schaffen kann, für den Eisvogel, für Insekten, für neue Bäume. Hier gibt es noch etwas Raum für einen natürlichen Auwald.“
Wir haben gelernt: Ein Sturm kann einen Auwald bei naturnaher Instandsetzung nicht zerstören. Allerdings setzen häufigere Wetterextreme auch dem robustesten Ökosystem zu. Gefahr droht auch durch politische Entscheidungen in Brüssel: Setzen sich die EVP unter Manfred Weber und ihre Gleichgesinnten durch, wird der Naturschutz in Europa und Bayern ein zahnloser Tiger bleiben. Dann steht zu befürchten, dass wir aus Rücksichtnahme auf kurzfristige wirtschaftliche Partikular-Interessen nach und nach auch den letzten, noch halbwegs intakten Ökosystemen durch rein gewinnorientierte Nutzung den Rest geben. Dabei haben naturnahe Auwälder einen unbezahlbaren Wert für uns alle: im Sinne der Artenvielfalt, des Hochwasser- und Grundwasserschutzes, der Naherholung und – der Schönheit.