Weiches, taugetränktes Moos und rotgoldenes Laub – Auge und Geist kommen in erdigen Farben zur Ruhe. Ein Waldspaziergang im Herbst tut der Seele gut. Mit dem Forstwirt Stephan Huber an der Seite wird der Wald allerdings zum unerwartet spannenden Geschichtenerzähler. Und der Weltwald Freising ist voller Geschichten.
Der Weltwald Freising
Stephan Huber betreut mit seinen Kollegen vom Landesarboretum eine ungewöhnliche Gemeinschaft: Auf 1.600 ha wurden Bäume aus drei Kontinenten versammelt. Sie bilden, nach geographischen Zonen aufgeteilt, den Weltwald Freising. Nur eines eint sie: die Frostgrenze. In Südbayern kann es empfindlich kalt werden, und deshalb müssen alle die hiesigen Minusgrade aushalten können.
Ein wenig Hilfe, um durch den Winter zu kommen, benötigt die chinesische Spießtanne. In der kalten und trockenen Winterluft verdunstet sie über ihre großen Nadeln viel Wasser, während sie aus dem frostigen Boden keines aufnehmen kann. Stephan Huber und seine Kollegen haben sich da was einfallen lassen: Die Spießtanne wird in Gesellschaft mit höheren Bäumen gepflanzt, die sie im Winter beschatten und damit die Verdunstung eindämmen. Funktioniert. In diesem Fall. In anderen Fällen nicht. Stephan Huber räumt ein: „Das Ganze ist nicht immer eine Erfolgsgeschichte.“
Nicht immer eine Erfolgsgeschichte
Die Zeit für die Anpassung an die hiesigen Bodenverhältnisse und das bayerische Klima ist für die fremden Arten noch viel zu kurz. Zudem machen Stürme und Schneebruch viele Jahre forstwirtschaftlicher Arbeit über Nacht zunichte. Beispielsweise haben die Arten der nordamerikanischen Gattung Hickory noch nicht gelernt, dass es in Bayern eine gute Idee ist, Laub rechtzeitig abzuwerfen. Obwohl Hickoryholz sehr hart und belastbar ist – schon die amerikanischen Ureinwohner verwendeten es für Bögen – bogen sich beim Nass-Schnee-Ereignis vom Dezember 2023 die Hickorys zu Boden und wären wohl zerborsten, wären Stephan Huber und seine Kollegen nicht herbeigeeilt und hätten die Bäume aufgestützt.
Auch mit den hiesigen schweren Lehmböden fremdeln die Gäste aus Amerika, weshalb ihr Überleben hier von sogenannten dienenden Baumarten abhängt. Zum Zweck der Belüftung der schweren Lehmböden pflanzte Stephan Huber vor 20 Jahren Hickorys in Gemeinschaft mit Schwarzerlen. Funktionierte. Denn die Schwarzerle kann verdichtete Böden gut durchwurzeln und damit belüften.
Natürliche Waldverjüngung ist das Ziel
Der Weltwald Freising wird seit seiner Einrichtung 1987 naturnah bewirtschaftet und es wird eine natürliche Waldverjüngung angestrebt. Bereits vor 40 Jahren entschied man, den vorherrschenden Fichten-Nutzwald diverser zu machen. Anstelle der Holzernte mit großflächigem Kahlschlag und anschließender Wiederaufforstung wurden nur noch einzelne Bäume selektiv entnommen. An die gelichtete Stelle kam eine neue Baumart, die unter dem Schutz der großen Altbäume heranwachsen konnte.
Dienende Baumarten
Im Jahr 1990 hatten die Stürme Vivian und Wiebke große Flächen des damaligen Fichtenbestands umgeworfen. Dann machte sich der Borkenkäfer über den Rest her. Es entstanden weite Grasflächen – ein Paradies für Mäuse. Mäuse wiederum machten den Setzlingen schnell den Garaus. Aber auch Sonne und Wind setzten den Neuanpflanzungen zu. Die Wiederaufforstung gestaltete sich schwierig, doch dann entschied man sich für natürliche Pionierpflanzen wie die Schwarzerle. Sie bereitete im wahrsten Sinne des Wortes den Boden für andere Baumarten und schuf ein Waldklima, in dem junge Bäume gedeihen konnten. Heute stehen dort Tulpenbäume, Libanon-Zedern oder Japanische Schirmtannen – mit freundlicher Unterstützung durch dienende Baumarten.
Gibt keine Superbäume – außer der Esskastanie
Rund 60.000 Menschen besuchen pro Jahr den Weltwald Freising, darunter auch viele Waldbesitzer, die sich von Stephan Huber und seinen Kollegen inspirieren lassen wollen. Welchen Baumarten gehört die Zukunft? Welche bietet auch zukünftig einen guten Ertrag? Ein Kandidat ist die Douglasie. Sie wurzelt tief, hält Trockenheit aus und hat ein vielseitig verwendbares Holz. Doch Stephan Huber warnt: „Es gibt keinen Super-Baum“. Nur in einem Fall lässt er sich hinreißen, den Ehrentitel zu verleihen: im Fall der Ess-Kastanie. Da gerät er ins Schwärmen: „Wunderbares Holz, ähnlich der Eiche oder Robinie. Und sie gibt einen wunderbaren Honig“.
Wunderbare Indian-Summer-Gefühle vermag die amerikanische Roteiche hervorzurufen, die in prachtvollen Gelb-Orange-Rot-, ja sogar Pink-Tönen erstrahlt. Hier ist Stephan Huber etwas nüchterner: „Die hat das Potential zu einer invasiven Art“. Sie verbreitet sich stark. Das Holz der amerikanischen Roteiche hält dem Vergleich mit dem der deutschen Eichen aber nicht stand. Insbesondere für den Fass-Bau ist es ungeeignet, weil es Feuchtigkeit aufnimmt: „Da säuft das Fass mit.“
Forstwirt, Forstwart – Baumbart!
Die Art, wie Huber von seinen Schützlingen, den Bäumen, spricht, zeigt, dass er schon lange und intensiv Bäume hegt und pflegt. Nicht das eher Wirtschaftliche des Forstwirts, mehr das Hegende des Forstwarts scheint im Vordergrund zu stehen. Wobei sich beides natürlich in nachhaltiger Waldbewirtschaftung vereinen lässt.
Am Ende des fast dreistündigen Spaziergangs ist es jedenfalls kein Wunder, dass die Assoziation Forstwirt, Forstwart – Baumbart nicht auf sich warten ließ. Zur Klarstellung: Es gibt keinerlei physiognomische Ähnlichkeit mit Baumbart, dem uralten Baumhirten aus dem verfilmten Tolkien-Roman „Herr der Ringe“! Aber in der Berufung, mit Herz und Seele ein Heger und Wächter der Bäume zu sein, schon.
Bericht über eine Exkursion der Kranzberger Grünen im Weltwald Freising am 20.10.24, auf der wir wirklich viel über Bäume gelernt haben. Von Jenny Radeck.