Desinformation und Digitale Gewalt – Bericht vom Vortrag

Am 30.09.25 referierte die grüne Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger im Metzgerwirt zum Thema Digitale Desinformation. Rund 20 Gäste lauschten ihren Ausführungen. Am Ende der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde gab es die beklemmende Erkenntnis: Die Lage ist aus vielen Gründen ernst.

Gezielte Desinformation, so der Einstieg ins Thema, sei kein neues Phänomen. Schon in der Antike wurden gezielt falsche Informationen gestreut mit dem Ziel, Menschen zu verwirren, Angst und Unsicherheit zu stiften und zum Hass auf bestimmte Gruppen anzustacheln. Im Gegensatz zur vergleichsweise harmlosen Fehlinformationen wie der „Zeitungsente“ hat Desinformation immer eine bewusste Täuschungsabsicht zum Ziel.

Die Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger beim Vortrag im Kranzberger Metzgerwirt.

Werkzeuge

Effektive Tools zur Informationsmanipulation sind Fake Accounts und Social Bots. Bots sind automatisierte Computerprogramme, die sich als Menschen ausgeben und in sozialen Netzwerken als vermeintliche echte Personen automatisiert Inhalte posten, liken, kommentieren und Konversationen führen. Der massenhafte Einsatz von social bots führt zu Verschiebungen im Diskurs, indem einseitig bestimmte Meinungen massenhaft verbreitet werden und somit der Eindruck entsteht, dies sei die Haltung einer großen Mehrheit.

Screenshot einer Doppelgänger-Seite des „Spiegels“. (Quelle: „Perma-CC“, https://perma.cc/LK93-YFFY?type=image)

Perfide sind Doppelgänger-Webseiten. Täuschend echt werden Seiten renommierter Medien wie „Spiegel online“ oder „Neue Züricher Zeitung“ nachgebaut und mit gefälschten Inhalten befüllt. Waren Doppelgänger-Seiten vor wenigen Jahren noch schlampig gemacht und leicht zu enttarnen, hilft heute meist nur noch ein Blick auf die Web-Adresse, um eine minimale Abweichung zur korrekten Web-Adresse der gefälschten Medien zu finden.

Wie erfolgreich die Doppelgänger-Strategie ist, wusste Marlene Schönberger aus eigener Erfahrung: Immer wieder legen ihr Bürger*innen in der Bürgersprechstunde Berichte aus „seriösen“ Medien vor, die tatsächlich von Doppelgänger-Seiten stammen. In solchen Berichten werden die Grünen häufig als Kriegstreiber verunglimpft. Die Grünen stehen besonders im Fokus russischer Kampagnen, denn sie stehen für Energieunabhängigkeit von Russland und befürworten die militärische Unterstützung der Ukraine.

Beispiele für russische Desinformationskampagnen

Dass Russland gezielt Desinformation betreibt, ist vielfach belegt. So wurden im Jahr 2022 Doppelgänger-Seiten der privaten kremlnahen Agentur „Social Design Agency“ (SDA) im Rahmen des Meta-Konzerns (facebook) identifiziert. In Folge wurden 32 Domains, die für Doppelgänger benutzt wurden, vom US-amerikanischen Justizministerium beschlagnahmt. 2024 wurden interne Strategiepapiere der SDA geleakt, die zeigen, mit welchen Strategien die Firma versucht, im Westen gezielt Stimmung für Russlands Narrative zu machen.

Das Schlachtfeld sind die Köpfe der Bewohner des Planeten Erde

Ilya Gambashidze, Social Design Agency

Weitere erklärte Ziele russischer Kampagnen sind die Erhöhung des Stimmenanteils für die AfD und des Indikators für Zukunftsangst in der deutschen Bevölkerung. Aber auch Frankreich, Israel und die Ukraine stehen im Visier russischer Desinformation. Die Diskreditierung der Ukraine als Nazi-Staat wird u.a. mit der Falschbehauptung betrieben, dass ukrainische Soldaten Helme mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ tragen würden. Der Spruch stand über dem Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald.

Die Kampagne zur Europa-Wahl 2024 verbreitete das russische Narrativ, die (grüne) Energiepolitik gefährde Wohlstand und Energiesicherheit und die EU sei eine Elitenverschwörung gegen die Bevölkerung, während populistische Parteien die nationalen Interessen und den gesunden Menschenverstand vertreten. Auch im Vorfeld der jüngst abgehaltenen Parlamentswahl in Moldau gab es massive Versuche russischer Einmischung bis hin zu Stimmenkauf.

Screenshot aus FAZ (diesmal kein Doppelgänger)

Dabei beschränken sich die Versuche der Beeinflussung nicht auf Social Media. Leider lassen sich auch Politiker instrumentalisieren. Prominent zu benennen ist hier der AfD-Politiker Bystron, gegen den aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Geldwäsche läuft.

Desinformation wird auch mit klassisch geheimdienstlichen Vorgehensweisen wie dem Abhören und Veröffentlichen von Gesprächen betrieben. Ein Beispiel dafür ist die sog. Taurus-Affäre, bei der eine Unterhaltung deutscher Militärangehöriger gehackt und geleakt wurde mit dem Ziel, eine aktive Beteiligung Deutschlands am Ukraine-Krieg nachzuweisen.

Was kann man gegen Desinformationskampagnen tun?

Obwohl Russland bei den kürzlich abgehaltenen Parlamentswahlen in Moldau finanzielle Mittel von etwa 2 % des moldauischen Brutto-Inlandprodukts für Wahlbeeinflussung inklusive Stimmenkaufs investierte, konnte sich die prorussische Partei nicht durchsetzen. Die amtierende pro-europäische Regierung habe gegen Stimmenkauf entschieden durchgegriffen. Das Beispiel Moldau zeige, so Marlene Schönberger, dass ein entschlossenes Handeln des Rechtsstaats gegen Desinformation und verfassungsfeindliche Bestrebungen möglich ist.

Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen:

Weiche Regulierung: Selbstverpflichtung der Plattformen (Selbstkontrolle)

Freiwilliger Verhaltenskodex der EU-Kommission

Harte Regulierung: Digital Services Act (DSA), AI Act

Supranationale Zusammenarbeit

Frühwarnsystem beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD)

Politische Bildung

Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen

Versagt die Politik beim Kampf gegen Desinformation?

Obwohl es nicht an Beweisen für die massive Meinungsmanipulation und Wahlbeeinflussung durch Russland in Deutschland mangelt, kürze die schwarz-rote Regierungskoalition die Mittel zur Abwehr von Desinformation im Haushalt erheblich von eh schon viel zu niedrigen 8 Millionen auf nur noch 1 Million Euro. Die Regierungsparteien seien sich zudem uneinig darin, politische Bildung in Deutschland zu fördern; insbesondere die CDU will bei der Bundeszentrale für politische Bildung kürzen, mutmaßlich weil sie ihr „zu links“ ausgerichtet sei – in einer Zeit, wo autoritäre Staaten und rechtsextreme Gruppierungen den Meinungsdiskurs nach rechts verschieben wollen.

In der Frage- und Gesprächsrunde nach dem rund einstündigen Vortrag offenbarte die Parlamentarierin eine weitere Sorge: Es fehle auch an Bewusstsein für die konkrete Bedrohung, die mit dem Einzug rechtsextremer Politiker in den Bundestag einhergeht: Mehr als die Hälfte der AfD-Abgeordneten beschäftigt Personen, die in Organisationen aktiv sind, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft werden.

Rund 20 Gäste waren zum Vortrag im Kranzberger Metzgerwirt gekommen

Dies führe dazu, dass einige ihrer Kollegen, so Schönberger, ihre Büros nun von innen abschlössen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die so abwegig nicht scheint: Aktuell steht die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann vor Gericht wegen Planung der bewaffneten Stürmung des Bundestags.

Es müsse, so das Fazit am Ende der Veranstaltung, wohl erst etwas Schlimmes passieren, bevor sich das Parlament dazu durchringe, die Demokratie gegen ihre inneren und äußeren Feinde wirksam zu schützen. Schönbergers Apell: Bürger*innen mögen ihre Wahlkreis-Abgeordneten ansprechen mit der Bitte, die Bedrohung von Demokratie und Freiheit durch Desinformation und Verfassungsfeinde endlich ernst zu nehmen und ihr wirksam Einhalt zu gebieten.

Quellenangaben und Literaturtipps

Allgemeine Infos zu extremistischen Gruppen, Hasspredigern und Verschwörungsnetzwerken im Internet:

https://www.isdglobal.org

Informationen über die Ziele der SDA siehe:

https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/russland-propaganda-fakenews-sda-deutschland-100.html

https://cemas.io/blog/sda-dokumente-russlands-desinformationsstrategie

Infos zu russischer Desinformation über die Ukraine

https://www.isdglobal.org/?s=ukraine

Infos zu Moldau

https://www.sueddeutsche.de/politik/podcast-nachrichten-auf-den-punkt-moldau-russland-wahlmanipulation-li.3318641

Weitere Leseempfehlungen:

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